top of page

Bunkai und Oyo-Kumite

  • Autorenbild: Lizbeth Wischnewski
    Lizbeth Wischnewski
  • 29. Okt.
  • 4 Min. Lesezeit
"Passion led us here"
Lebenslanges Lernen gibt es auch im Karate

Wenn über die Anwendung von Kata-Techniken gesprochen wird, tauchen immer wieder zwei Begriffe auf: Bunkai und Oyo-Kumite. In vielen Schulen wird darin nicht unterschieden, oft ist der Begriff Oyo-Kumite den Trainierenden völlig unbekannt. Persönlich empfinde ich es als wichtig, die Unterschiede zu kennen und zu lehren.

Was heißt Bunkai? Was ist Oyo-Kumite?

Bunkai (分解) bedeutet wörtlich auseinandernehmen bzw. zerlegen. Gemeint ist also die Analyse einer Kata, das Zerlegen der Bewegungen in verständliche Abschnitte und die Suche nach möglichen Bedeutungen. Im engeren japanischen Verständnis ist Bunkai ein Lernprozess: Was könnte diese Technik bedeuten? Wie passt sie in den Kontext der Kata? Es ist weniger das Kämpfen selbst, sondern eher das Aufschlüsseln und Interpretieren.

Oyo (応用) dagegen steht für die Anwendung bzw. die praktische Umsetzung des Wissens. Spricht man von Oyo-Kumite, meint man die konkrete Umsetzung einer Technik aus der Kata in eine kämpferische Situation, mit Partner, unter variablen Bedingungen, nicht nur als festgelegte Sequenz. Es geht also um praktisches Ausprobieren und Anwenden, nicht nur um theoretisches Erklären.

Unsere praktische Umsetzung

Für mich bedeutet Bunkai das gemeinsame Zerlegen einer Kata, das Suchen nach dem Sinn einer Technikgruppe, das Überlegen möglicher Anwendungen. Im Unterricht machen wir das gerne gemeinsam: Welche Erklärung gibt es für diese Bewegungen? Welche Ideen stecken dahinter? Manchmal nutzen wir die "offiziellen" Bunkai-Übungen unseres Verbandes, manchmal gehen wir darüber hinaus und entwickeln eigene Interpretationen. Es ist ein Prozess, bei dem man sich gegenseitig inspiriert und versucht auf den Kern der Kata zu stoßen.

Im Oyo-Kumite gehen wir dann einen Schritt weiter: Wir probieren unsere Ideen aus, testen, ob die Erklärungen im Partnertraining funktionieren. Funktioniert ein Ansatz nicht, verwerfen wir ihn. Funktioniert er, bauen wir darauf auf und variieren. Für mich ist dieser Übergang essenziell: Analyse allein bleibt Theorie, erst die Anwendung macht die Kata lebendig.

Zwischen Wittwer, McCarthy und Abernethy

Drei Stimmen sind für mich besonders spannend, wenn es um die Frage nach Bunkai und Oyo geht:

  • Henning Wittwer betont den ursprünglichen, sprachlich exakten Unterschied. Bunkai ist Analyse, Oyo ist Anwendung. Diese Trennung ist für das Verständnis nützlich, aber historisch waren die Grenzen nie so scharf, wie es heute in vielen Dōjōs dargestellt wird.

  • Patrick McCarthy sieht Bunkai als methodischen Prozess, um die Prinzipien hinter einer Kata zu entschlüsseln. Für ihn ist Oyo das Ausprobieren dieser Ideen im Kampf. Auch er kritisiert, dass viele Karateka Bunkai nur als festgelegte Übungen verstehen.

  • Iain Abernethy geht am radikalsten vor: Für ihn ist jedes Bunkai immer Anwendung, eine bloße Erklärung ohne Funktion ist wertlos. Sein Grundsatz latuet: Wenn dein Bunkai nicht funktioniert, ist es auch kein Bunkai.

Meine eigene Sicht liegt irgendwo dazwischen. Ich stimme Wittwer und McCarthy zu, dass es sinnvoll ist, zwischen Analyse (Bunkai) und Anwendung (Oyo) zu unterscheiden. Aber ich gebe Abernethy recht: Am Ende zählt, ob es funktioniert. Ein schönes Bunkai, das in der Praxis keinen Wert hat, ist wertlos.

Warum also die Trennung?

Die Gründe zwischen den Begriffen zu unterscheiden sind mannigfaltig.

Didaktische Tradition

Einige Karate-Lehrer unterschieden zwischen den Begriffem bewusst, um zwischen "Verstehen" (Bunkai) und "Tun" (Oyo) zu differenzieren. Das hilft beim Unterrichten, besonders in einem Umfeld, in dem Karate stark formalisiert und für Prüfungen standardisiert wurde.

Japanische Sprachlogik

Im Japanischen macht die Unterscheidung durchaus Sinn – 分解 ist Analyse, 応用 ist Anwendung. Im Westen wurden diese Begriffe oft verengt oder sogar falsch übersetzt.

Prüfungssysteme

In vielen Verbänden steht in Prüfungsordnungen explizit "Bunkai zeigen", gemeint ist aber meist ein standardisiertes Partnerbeispiel. Eher selten wird dabei der kreative oder frei anwendbare Teil (Oyo-Kumite) abgefragt. Dadurch entstand die Wahrnehmung, dass es zwei getrennte Welten seien.

Tradition vs. Praxis

Manche Schulen sehen Bunkai als festgelegte Partnerübung, während Oyo als freie Interpretation verstanden wird. In anderen Schulen (etwa bei Iain Abernethy) wird betont, dass Bunkai immer Anwendung bedeutet und die Trennung künstlich sei.

Und bei uns?

Ein Punkt, der mich im Shōtōkan-Kontext immer wieder stört: die Behauptung, dass es für bestimmte Bewegungen eine einzig richtige Anwendung gebe. Gerade weil viele Techniken in unseren Kata historisch stark verändert wurden, ist diese Sicht schlicht unhaltbar.

Am Beispiel der Heian-Kata des Shōtōkan; diese unterscheiden sich teilweise massiv von den ursprünglichen Pinan-Kata aus Okinawa. Bewegungen wurden vereinfacht, verdreht oder umgestellt. Nehmen wir den Yoko-Geri in Heian Nidan: In der ursprünglichen Pinan-Form gab es diese Technik so nicht. In der Pinan-Shodan (warum im Shōtōkan die Namen vertauscht wurden bietet Raum für einen anderen Artikel) wird an derselben Stelle ein Mae-Geri eingesetzt. Funakoshi und seine Schüler fügten Tritte ein oder wandelten Armbewegungen ab, um die Kata "attraktiver" oder "pädagogisch klarer" zu gestalten. Wenn wir heute versuchen, für diese veränderten Techniken eine "originale Anwendung" zu finden, laufen wir ins Leere.

Vergleiche die folgenden Videos, hier kannst Du gut erkennen, dass die Heian Shodan stark an die ältere Variante der Pinan Nidan erinnert und darauf aufbaut. Achte insbesondere auf die 7. Technik (bzw. die 5, je nachdem wie Du zählst). In der Pinan Shodan dreht sich der Karateka nach hinten und führt einen Mae-Geri aus, in der Heian Nidan wird dieser Tritt deutlich durch einen Yoko-Geri ersetzt.

Pinan Shodan

Heian Nidan

Solche Veränderungen zeigen: Wer heute behauptet, es gebe die eine richtige Deutung, verkennt die Entwicklungsgeschichte der Kata. Für mich ist das ein starker Hinweis darauf, dass wir offen bleiben müssen, für offizielle Bunkai, für eigene Ansätze und insbesondere für die Überprüfung des Sinns im Oyo-Kumite.

Und nun?

Bunkai und Oyo-Kumite sind für mich keine Gegensätze, sondern zwei Seiten einer Medaille: Erst analysieren und verstehen, dann anwenden und testen. Ich halte die Unterscheidung für nützlich, aber nicht für absolut. Wichtig ist, dass wir nicht im Dogmatismus erstarren, sondern unsere Kata lebendig halten. Kritisches Nachdenken, Partnerarbeit und die Bereitschaft auch über den Tellerrand hinauszuschauen sind wichtig für unsere persönliche Entwicklung und das Verständnis für das Karate allgemein.

Denn am Ende gilt: Eine Erklärung, die nicht funktioniert, ist kein Bunkai.

Kommentare

Mit 0 von 5 Sternen bewertet.
Noch keine Ratings

Rating hinzufügen

Training für Kinder ab 8 Jahren

​Fred-Brauner-Turnhalle

IKG, St.-Jakobs-Platz

​​​

dienstags, 17:30 - 19:00 Uhr

Training für Jugend und Erwachsene

​Fred-Brauner-Turnhalle

IKG, St.-Jakobs-Platz

​dienstags, 17:30 - 19:00 Uhr

Mittelschule, Strehleranger 10
donnerstags, 18-19, 19-20 und 20-21 Uhr

Tel.: +49 160 96644031    E-Mail: email (at) suganuma.de

  • Wir auf Facebook
  • Wir auf Instagram

© 2023-2025 Lizbeth Wischnewski.

bottom of page